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Channel: Frank T. Zumbachs Mysterious World
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Ina Seidel: Das Erlebnis des Edelknaben. Ein Bruchstück

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… Der Alte hockt im Turme wie begraben,

 

Ihm ging der Takt der Stunden längst verloren, -

 

Sie sagten mir, er hätte einen Raben

 

Und einen Hund mit spitzen Ziegelohren.

 

Der Rabe schliefe tags, die Augen starrten

 

Ihm bläßlich, halbgeöffnet durch die Lider,

 

Weil sie wie Wächter auf den Abend harrten, –

 

Dann flög er aus mit schattendem Gefieder.

 

 

Den Köter leidet´s nicht im Turmgemache,

 

Der trabt durchs Schloß auf krallenlosen Sohlen,

 

Vor dem Bankettsaal steht er heimlich Wache,

 

Legt zu des Königs Füßen sich verstohlen,

 

Fletscht seine Zähne, giftig wie ein Drache,

 

In seinen Augen lauern grüne Flammen …

 

Die drei Gesellen aus dem Turmgemache,

 

Greis, Hund und Raben, sah man nie zusammen.

 

 

Jüngst in der Dämmerung sah ich den Alten

 

Zum Strande hinken, vom Nordost umschnoben,

 

Straff wölbten sich des Mantels bunte Falten,

 

Sein Bart ward wie ein Fahnentuch gehoben.

 

Die Neugier saß in mir wie fressend Feuer,

 

So günstig hatte ich´s noch nie getroffen:

 

Ich schlich hinauf, hintastend am Gemäuer,

 

Erschauernd stand ich still, – die Tür war offen.

 

 

Die Luft roch warm und süß. Die Ampel brannte.

 

Mit schweren Füßen stand ich auf der Schwelle.

 

Was weiß ich von dem Zauber, der mich bannte?

 

Ich wollte fliehn und kam nicht von der Stelle,

 

Ich wollte schrein, gelähmt war meine Kehle,

 

Ich keuchte qualvoll, wie vom Alp besessen.

 

Ach, wem befahl ich meine arme Seele?

 

Der Namen heiligste hatt ich vergessen.

 

 

Ich sah, im Rauchfang hing ein toter Igel,

 

Seltsam Geräte lehnte an den Wänden,

 

Über dem Dreifuß brodelte ein Tiegel,

 

Den Blasbalg rührten unsichtbare Hände.

 

Mitunter pfiff er höllisch, und dann schlüpften

 

Aus ihren Gläsern böse Spinnendinger,

 

Die ganz verteufelt kicherten und hüpften

 

Und winkten mit verrenktem Kolbenfinger.

 

 

Ein spiegelnd Kleinod auf azurner Decke,

 

Ein Ding, gleich einem wasserhellen Balle,

 

Lag sanft erstrahlend in der einen Ecke.

 

Wie Balsam floß das Licht aus dem Kristalle

 

In meine armen, ganz verstörten Augen.

 

O blauer Glanz, gefangnes Zauberfeuer!

 

Als wollt ich es in Hirn und Herz mir saugen,

 

Starrt ich hinein, und alles schien geheuer.

 

 

Und ich vergaß das Wundern, und ich spürte

 

Mein Blut melodisch auf und nieder steigen,

 

Ich war die Harfe, die ein Meister rührte,

 

Ich webte klingend mit im Weltenreigen,

 

Ich war nicht ich, – ich war in allen Dingen,

 

Ins Herz des Lebens sausend hingerissen,

 

Allgegenwart trug mich auf breiten Schwingen,

 

Und ohne Grenzen war mein Schaun und Wissen.

 

 

Ein Schatten vor dem Fenster, – Scheibenklirren.

 

Ich taumelte, – weh mir, nun kam der Rabe!

 

Und eine Stimme krächzt durch Flügelschwirren:

 

“Macht der Kristall dich trunken, armer Knabe?”

 

War das der Rabe? Nein, da stand der Alte

 

Gebückt am Herd und schürte seine Kohlen,

 

So daß der Tiegel zischend überwallte, -

 

Sah mich nicht an und grinste doch verstohlen.

 

 

Sah mich nicht an und grinste, – und ein Grauen

 

Schob mich mit kalten Händen aus der Türe,

 

Nur Menschen! Einen Menschen wollt´ ich schauen,

 

Eh Satanas mit mir von hinnen führe!

 

Nur Menschen! Hohngelächter mir im Rücken, -

 

Und mir entgegen aus den hohlen Gängen

 

Trabt dieser Höllenhund mit grünen Blicken

 

Und keucht und läßt die rote Zunge hängen …

 



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