Der Herzog von Cadignan tritt ein.
Herzog. Schon höchst bewegt!
Michette und Flipotte auf ihn zu.
Michette. Mein süßer Herzog!
François. Guten Abend, Emile! . . . . Stellt vor. Mein junger Freund Albin Chevalier von Tremouille – der Herzog von Cadignan.
Herzog. Ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Zu den Mädchen, die an ihm hängen. Laßt mich, Kinder! – zu Albin. Sie sehen sich auch dieses komische Wirthshaus an?
Albin. Es verwirrt mich auf’s Höchste!
François. Der Chevalier ist erst vor ein paar Tagen in Paris angekommen.
Herzog lachend. Da haben Sie sich ja eine nette Zeit ausgesucht.
Albin. Wieso?
Michette. Was er wieder für einen Parfum hat! Es giebt überhaupt keinen Mann in Paris, der so angenehm duftet. Zu Albin . . . So merkt man das nicht.
Herzog. Sie spricht nur von den siebenhundert oder achthundert, die sie so gut kennt wie mich.
Flipotte. Erlaubst Du, daß ich mit Deinem Degen spiele? – Sie zieht ihm den Degen aus der Scheide und läßt ihn hin und her funkeln.
Grain zum Wirth. Mit dem! . . . mit dem hab’ ich sie gesehn! –
Wirth läßt sich erzählen, scheint erstaunt.
Herzog. Henri ist noch nicht da? Zu Albin. Wenn Sie den sehen werden, werden Sie’s nicht bereuen, hierhergekommen zu sein.
Wirth zum Herzog. Na, bist Du auch wieder da? Das freut mich. Lang werden wir ja das Vergnügen nicht mehr haben.
Herzog. Warum? Mir behagt’s sehr gut bei Dir.
Wirth. Das glaub’ ich. Aber da Du auf alle Fälle einer der Ersten sein wirst . . .
Albin. Was bedeutet das?
Wirth. Du verstehst mich schon. – Die ganz Glücklichen kommen zuerst dran! . . . Geht nach rückwärts.
Herzog nach einem Sinnen. Wenn ich der König wäre, würde ich ihn zu meinem Hofnarren machen, daß heißt, ich würde mir viele Hofnarren halten, aber er wäre einer davon.
Albin. Wie hat er das gemeint, daß Sie zu glücklich sind?
Herzog. Er meint, Chevalier . . .
Albin. Ich bitte, sagen Sie mir nicht Chevalier. Alle nennen mich Albin, einfach Albin, weil ich nämlich so jung ausschaue.
Herzog lächelnd. Schön . . . aber da müssen Sie mir Emile sagen, ja?
Albin. Wenn Sie erlauben, gern, Emile.
Herzog. Sie werden unheimlich witzig, diese Leute.
François. Warum unheimlich? Mich beruhigt das sehr. Solange das Gesindel zu Späßen aufgelegt ist, kommt’s doch nicht zu ‘was Ernstem.
Herzog. Es sind nur gar zu sonderbare Witze. Da hab’ ich heut wieder eine Sache erfahren, die giebt zu denken.
François. Erzählen Sie.
Flipotte. Michette. Ja, erzähle, süßer Herzog!
Herzog. Kennen Sie Lelange?
François. Freilich – das Dorf . . . der Marquis von Montserrat hat dort eine seiner schönsten Jagden.
Herzog. Ganz richtig; mein Bruder ist jetzt bei ihm auf dem Schloß, und der schreibt mir eben die Sache, die ich Ihnen erzählen will. In Lelange haben sie einen Bürgermeister, der sehr unbeliebt ist.
François. Wenn Sie mir einen nennen können, der beliebt ist –
Herzog. Hören Sie nur. – Da sind die Frauen des Dorfes vor das Haus des Bürgermeisters gezogen – mit einem Sarg . . .
Flipotte. Wie? . . . Sie haben ihn getragen? Einen Sarg getragen? Nicht um die Welt möcht’ ich einen Sarg tragen.
François. Schweig doch – es verlangt ja niemand von Dir, daß Du einen Sarg trägst. Zum Herzog. Nun?
Herzog. Und ein paar von den Weibern sind darauf in die Wohnung des Bürgermeisters und haben ihm erklärt, er müsse sterben – aber man werde ihm die Ehre erweisen, ihn zu begraben. –
François. Nun, hat man ihn umgebracht?
Herzog. Nein – wenigstens schreibt mir mein Bruder nichts davon.
François. Nun also! . . . Schreier, Schwätzer, Hanswürste – das sind sie. Heut brüllen sie in Paris zur Abwechslung die Bastille an – wie sie’s schon ein halbes Duzend Mal gethan . . . . .
Herzog. Nun – wenn ich der König wäre, ich hätte ein Ende gemacht . . . längst . . . .
Albin. Ist es wahr, daß der König so gütig ist?
Herzog. Sie sind Seiner Majestät noch nicht vorgestellt?
François. Der Chevalier ist ja das erste Mal in Paris.
Herzog. Ja, Sie sind unglaublich jung. Wie alt, wenn man fragen darf?
Albin. Ich sehe nur so jung aus, ich bin schon siebzehn . . . .
Herzog. Siebzehn – wie viel liegt noch vor Ihnen. Ich bin schon vierundzwanzig . . . . ich fange an zu bereuen, wie viel von meiner Jugend ich versäumt habe.
François lacht. Das ist gut! Sie, Herzog . . . für Sie ist doch jeder Tag verloren, an dem Sie nicht eine Frau erobert oder einen Mann todtgestochen haben.
Herzog. Das Unglück ist nur, daß man beinah’ nie die richtige erobert – und immer den unrichtigen todtsticht. Und so versäumt man seine Jugend doch. Es ist ganz, wie Rollin sagt.
François. Was sagt Rollin?
Herzog. Ich dachte an sein neues Stück, das sie in der Comédie geben – da kommt so ein hübscher Vergleich vor. Erinnern Sie sich nicht?
François. Ich habe gar kein Gedächtniß für Verse –
Herzog. Ich leider auch nicht . . . . ich erinnere mich nur an den Sinn . . . Er sagt, die Jugend, die man nicht genießt, ist wie ein Federball, den man im Sand liegen läßt, statt ihn in die Luft zu schnellen.
Albin altklug. Das find’ ich sehr richtig.
Herzog. Nicht wahr? – Die Federn werden allmählich doch farblos, fallen aus. Es ist noch besser, er fällt in ein Gebüsch, wo man ihn nicht wiederfindet.
Albin. Wie ist das zu verstehen, Emile?
Herzog. Es ist mehr zu empfinden. Wenn ich die Verse wüßte, verstünden Sie’s übrigens gleich.
Albin. Es kommt mir vor, Emile, als könnten Sie auch Verse machen, wenn Sie nur wollten.
Herzog. Warum?
Albin. Seit Sie hier sind, scheint es mir, als wenn das Leben aufflammte –
Herzog lächelnd. Ja? Flammt es auf?
François. Wollen Sie sich nicht endlich zu uns setzen?
Unterdessen kommen zwei Adelige und setzen sich an einen etwas entfernten Tisch; der Wirth scheint ihnen Grobheiten zu sagen.
Herzog. Ich kann nicht hier bleiben. Aber ich komme jedenfalls noch einmal zurück.
Michette. Bleib’ bei mir!
Flipotte. Nimm mich mit!
Sie wollen ihn halten.
Wirth nach vorn. Laßt ihn nur! Ihr seid ihm noch lang nicht schlecht genug. Er muß zu einer Straßendirne laufen, dort ist ihm am wohlsten.
Herzog. Ich komme ganz bestimmt zurück, schon um Henri nicht zu versäumen.
François. Denken Sie, als wir kamen, ging Henri eben mit Léocadie fort.
Herzog. So. – Er hat sie geheiratet. Wißt ihr das?
François. Wahrhaftig? – Was werden die Andern dazu sagen?
Albin. Was für Andern?
François. Sie ist nämlich allgemein beliebt.
Herzog. Und er will mit ihr fort . . . . was weiß ich . . . . man hat’s mir erzählt.
Wirth. So? hat man’s Dir erzählt? – Blick auf den Herzog.
Herzog Blick auf den Wirth, dann Es ist zu dumm. Léocadie ist geschaffen, die größte, die herrlichste Dirne der Welt zu sein.
François. Wer weiß das nicht!
Herzog. Giebt es etwas Unverständigeres, als jemanden seinem wahren Beruf entziehen? Da François lacht. Ich meine das nicht im Scherz. Auch zur Dirne muß man geboren sein – wie zum Eroberer oder zum Dichter.
François. Sie sind paradox
Herzog. Es thut nur leid um sie – und um Henri. Er sollte hier bleiben – nicht hier– ich möchte ihn in die Comédie bringen – obwohl auch dort – mir ist immer, als verstünd’ ihn keiner so ganz wie ich. Das kann übrigens eine Täuschung sein – denn ich habe diese Empfindung den meisten Künstlern gegenüber. Aber ich muß sagen, wär’ ich nicht der Herzog von Cadignan, so möcht’ ich gern ein solcher Komödiant – ein solcher . . .
Albin. Wie Alexander der Große . . .
Herzog lächelnd. Ja – wie Alexander der Große. Zu Flipotte. Gieb mir meinen Degen. Er steckt ihn in die Scheide. Langsam. Es ist doch die schönste Art, sich über die Welt lustig zu machen; einer, der uns vorspielen kann, was er will, ist doch mehr als wir alle.
Albin betrachtet ihn verwundert.
Herzog. Denken Sie nicht nach über das, was ich sage: Es ist alles nur im selben Augenblick wahr. – Auf Wiedersehen!
Michette. Gieb mir einen Kuß, bevor du gehst!
Flipotte. Mir auch!
Sie hängen sich an ihn, der Herzog küßt beide zugleich und geht. – Währenddem:
Albin.
Ein wunderbarer Mensch! . . . .
François. Das ist schon wahr . . . . aber daß solche Menschen existiren, ist beinah’ ein Grund, nicht zu heiraten.
Albin. Erklär’ nur im übrigen, was das für Frauenzimmer sind.
François. Schauspielerinen. Sie sind auch von der Truppe Prospère, der jetzt der Spelunkenwirth ist. Freilich haben sie früher nicht viel Anderes gemacht als jetzt.
Guillaume stürzt herein, wie athemlos.
Guillaume zum Tisch hin, wo die Schauspieler sitzen, die Hand an’s Herz, mühselig, sich stützend. Gerettet, ja, gerettet!
Scaevola. Was giebt’s, was hast Du?
Albin. Was ist dem Mann geschehn?
François. Das ist jetzt Schauspiel. Paß auf!
Albin. Ah –?
Michette. Flipotte rasch zu Guillaume hin. Was giebt’s? Was hast Du?
Scaevola. Setz’ Dich, nimm einen Schluck!
Guillaume. Mehr! mehr! . . . . Prospère, mehr Wein! – – Ich bin gelaufen! Mir klebt die Zunge. Sie waren mir auf den Fersen.
Jules fährt zusammen. Ah, gebt Acht, sie sind uns überhaupt auf den Fersen.
Wirth. So erzähl’ doch endlich, was ist denn passirt? . . . . Zu den Schauspielern. Bewegung! mehr Bewegung!
Guillaume. Weiber her . . . Weiber! – Ah – Umarmt Flipotte. Das bringt Einen auch wieder zum Leben! Zu Albin, der höchst betroffen ist Der Teufel soll mich holen, mein Junge, wenn ich gedacht habe, ich werde Dich lebendig wiedersehn . . . Als wenn er lausche. Sie kommen, sie kommen! – Zur Thür hin Nein, es ist nichts. – Sie . . .
Albin. Wie sonderbar! . . . Es ist wirklich ein Lärm, wie wenn Leute draußen sehr rasch vorbeijagten. Wird das auch von hier aus geleitet?
Scaevola zu Jules. Jedesmal hat er die Nuance . . . es ist zu dumm! –
Wirth. So sag’ uns doch endlich, warum sie Dir wieder auf den Fersen sind.
Guillaume. Nichts Besonderes. Aber wenn sie mich hätten, würde es mir doch den Kopf kosten – ein Haus hab’ ich angezündet.
Während dieser Scene kommen wieder junge Adelige, die an den Tischen Platz nehmen.
Wirth leise. Weiter, weiter!
Guillaume ebenso. Was weiter? Genügt das nicht, wenn ich ein Haus angezündet habe?
François. Sag’ mir doch, mein Lieber, warum Du das Haus angezündet hast.
Guillaume. Weil der Präsident des obersten Gerichtshofes darin wohnt. Mit dem wollten wir anfangen. Wir wollen den guten Pariser Hausherren die Lust nehmen, Leute in ihr Haus zu nehmen, die uns arme Teufel in’s Zuchthaus bringen.
Grain. Das ist gut! Das ist gut!
Guillaume betrachtet Grain und staunt; spricht dann weiter. Die Häuser müssen alle dran. Noch drei Kerle wie ich, und es giebt keine Richter mehr in Paris!
Grain. Tod den Richtern!
Jules. Ja . . . . es giebt doch vielleicht einen, den wir nicht vernichten können.
Guillaume. Den möcht’ ich kennen lernen.
Jules. Den Richter in uns.
Wirth leise. Das ist abgeschmackt. Laß das. Scaevola! Brülle! jetzt ist der Moment!
Scaevola. Wein her, Prospère, wir wollen auf den Tod aller Richter in Frankreich trinken!
Während der letzten Worte traten ein: der Marquis von Lansac mit seiner Frau Séverine; Rollin, der Dichter.
Scaevola. Tod allen, die heute die Macht in Händen haben! Tod!
Marquis. Sehen Sie, Séverine, so empfängt man uns.
Rollin. Marquise, ich hab’ Sie gewarnt.
Séverine. Warum?
François steht auf. Was seh’ ich! Die Marquise! Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Hand küsse. Guten Abend, Marquis! Grüß Gott, Rollin! Marquise, Sie wagen sich in dieses Lokal!
Séverine. Man hat mir soviel davon erzählt. Und außerdem sind wir heute schon in Abenteuern drin – nicht wahr, Rollin?
Marquis. Ja, denken Sie, Vicomte – was glauben Sie, woher wir kommen? – Von der Bastille.
François. Machen sie dort noch immer so einen Spektakel?
Séverine. Ja freilich! – Es sieht aus, wie wenn sie sie einrennen wollten.
Rollin deklamiert,
Gleich einer Flut, die an die Ufer brandet,
Und tief ergrimmt, daß ihr das eigne Kind,
Die Erde widersteht –
Séverine. Nicht, Rollin! – Wir haben dort unsern Wagen in der Nähe halten lassen. Es ist ein prächtiger Anblick; Massen haben doch immer ‘was Großartiges.
François. Ja, ja, wenn sie nur nicht so übel riechen würden.
Marquis. Und nun hat mir meine Frau keine Ruhe gegeben . . . ich mußte sie hierher führen.
Séverine. Also was giebt’s denn da eigentlich Besonderes?
Wirth zu Lansac. Na, bist Du auch da, verdorrter Hallunke? Hast Du Dein Weib mitgebracht, weil sie Dir zuhaus nicht sicher genug ist?
Marquis gezwungen lachend. Er ist ein Original!
Wirth. Gieb nur Acht, daß sie Dir nicht gerade hier weggefischt wird. Solche vornehme Damen kriegen manchmal eine verdammte Lust, es mit einem richtigen Strolch zu versuchen.
Rollin. Ich leide unsäglich, Séverine.
Marquis. Mein Kind, ich habe Sie vorbereitet – es ist noch immer Zeit, daß wir gehen.
Séverine. Was wollen Sie denn? Ich finde es reizend. Setzen wir uns doch endlich nieder!
François. Erlauben Sie, Marquise, daß ich Ihnen den Chevalier de la Tremouille vorstelle. Er ist auch das erste Mal hier. Der Marquis von Lansac; Rollin, unser berühmter Dichter.
Albin. Sehr erfreut. Complimente, man nimmt Platz.
Albin zu François. Ist das eine von denen, die spielt, oder . . . ich kenne mich gar nicht aus.
François. Sei doch nicht so begriffsstutzig! – Das ist die wirkliche Frau des Marquis von Lansac . . . . eine höchst anständige Dame.
Rollin zu Séverine. Sage, daß Du mich liebst.
Séverine. Ja, ja, aber fragen Sie mich nicht jeden Augenblick.
Marquis. Haben wir schon irgend eine Scene versäumt?
François. Nicht viel. Der dort spielt einen Brandstifter, wie es scheint.
Séverine. Chevalier, Sie sind wohl der Vetter der kleinen Lydia de la Tremouille, die heute geheiratet hat?
Albin. Jawohl, Marquise, das war mit einer der Gründe, daß ich nach Paris gekommen bin.
Séverine. Ich erinnere mich, Sie in der Kirche gesehen zu haben.
Albin verlegen. Ich bin höchst geschmeichelt, Marquise.
Séverine zu Rollin. Was für ein lieber kleiner Junge.
Rollin. Ah, Séverine, Sie haben noch nie einen Mann kennen gelernt, der Ihnen nicht gefallen hätte.
Séverine. Oh doch; den hab’ ich auch gleich geheiratet.
Rollin. O, Séverine, ich fürchte immer – es giebt sogar Momente, wo Ihnen Ihr eigener Mann gefährlich ist.
Wirth bringt Wein. Da habt Ihr! Ich wollte, es wäre Gift, aber es ist vorläufig noch nicht gestattet, Euch Canaillen das vorzusetzen.
François. Wird schon kommen, Prospère.
Séverine zu Rollin. Was ist’s mit diesen beiden hübschen Mädchen? Warum kommen sie nicht näher? Wenn wir schon einmal da sind, will ich alles mitmachen. Ich finde überhaupt, daß es hier höchst gesittet zugeht.
Marquis. Haben Sie nur Geduld, Séverine.
Séverine. Auf der Straße, find’ ich, unterhält man sich in der letzten Zeit am besten. – Wissen Sie, was uns gestern passirt ist, als wir auf der Promenade von Longchamps spazieren fuhren?
Marquis. Ach bitte, meine liebe Séverine, wozu . . . .
Séverine. Da ist ein Kerl auf’s Trittbrett unserer Equipage gesprungen und hat geschrieen: Nächstes Jahr werden Sie hinter Ihrem Kutscher stehen und wir werden in der Equipage sitzen.
François. Ah, das ist etwas stark.
Marquis. Ach Gott, ich finde, man sollte von diesen Dingen gar nicht reden. Paris hat jetzt etwas Fieber, das wird schon wieder vergehen.
Guillaume plötzlich. Ich sehe Flammen, Flammen, überall, wo ich hinschaue, rothe, hohe Flammen.
Wirth zu ihm hin. Du spielst einen Wahnsinnigen, nicht einen Verbrecher.
Séverine. Er sieht Flammen?
François. Das ist alles noch nicht das Richtige, Marquise.
Albin zu Rollin. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wirr ich schon von dem allen bin.
Michette kommt zum Marquis. Ich hab’ Dich ja noch gar nicht begrüßt, mein süßes altes Schwein.
Marquis verlegen. Sie scherzt, liebe Séverine.
Séverine. Das kann ich nicht finden. Sag’ einmal, Kleine, wie viel Liebschaften hast Du schon gehabt?
Marquis zu François. Es ist bewunderungswürdig, wie sich die Marquise, meine Gemahlin, gleich in jede Situation zu finden weiß.
Rollin. Ja, es ist bewunderungswürdig.
Michette. Hast Du Deine gezählt?
Séverine. Als ich noch so jung war wie Du . . . . gewiß.
Albin zu Rollin. Sagen Sie mir, Herr Rollin, spielt die Marquise oder ist sie wirklich so – ich kenne mich absolut nicht aus.
Rollin. Sein . . . . spielen . . . . kennen Sie den Unterschied so genau, Chevalier?
Albin. Immerhin.
Rollin. Ich nicht. Und was ich hier so eigenthümlich finde, ist, daß alle scheinbaren Unterschiede sozusagen aufgehoben sind. Wirklichkeit geht in Spiel über – Spiel in Wirklichkeit. Sehen Sie doch einmal die Marquise an. Wie sie mit diesen Geschöpfen plaudert, als wären sie ihresgleichen. Dabei ist sie . . . . . .
Albin. Etwas ganz Anderes.
Rollin. Ich danke Ihnen, Chevalier.
Wirth zu Grain. Also, wie war das?
Grain. Was?
Wirth. Die Geschichte mit der Tante, wegen der Du zwei Jahre im Gefängnis gesessen bist?
Grain. Ich sagte Ihnen ja, ich habe sie erdrosselt.
François. Der ist schwach. Das ist ein Dilettant. Ich hab’ ihn noch nie gesehen.
Georgette kommt rasch, wie eine Dirne niedrigsten Ranges gekleidet. Guten Abend, Kinder! Ist mein Balthasar noch nicht da?
Scaevola. Georgette! Setz’ Dich zu mir! Dein Balthasar kommt noch immer zurecht.
Georgette. Wenn er in zehn Minuten nicht da ist, kommt er nicht mehr zurecht – da kommt er überhaupt nicht wieder.
François. Marquise, auf die passen Sie auf. Die ist in Wirklichkeit die Frau von diesem Balthasar, von dem sie eben spricht und der sehr bald kommen wird. – Sie stellt eine ganz gemeine Straßendirne dar, Balthasar ihren Zuhälter. Dabei ist es die treueste Frau, die man überhaupt in Paris finden kann.
Balthasar kommt.
Georgette. Mein Balthasar! Sie läuft ihm entgegen, umarmt ihn. Da bist Du ja!
Balthasar. Es ist alles in Ordnung. Stille ringsum. Es war nicht der Mühe werth. Es hat mir beinah leid um ihn gethan. Du solltest Dir Deine Leute besser ansehn, Georgette – ich bin es satt, hoffnungsvolle Jünglinge wegen ein paar Francs umzubringen.
François. Famos . . . .
Albin. Wie? –
François. Er pointirt so gut.
Der Kommissär kommt, verkleidet, setzt sich an einen Tisch.
Wirth zu ihm. Sie kommen in einem guten Moment, Herr Commissär. Das ist einer meiner vorzüglichsten Darsteller.
Balthasar. Man sollte sich überhaupt einen anderen Verdienst suchen. Meiner Seel’, ich bin nicht feig, aber das Brot ist sauer verdient.
Scaevola. Das will ich glauben.
Georgette. Was hast Du nur heute?
Balthasar. Ich will’s Dir sagen, Georgette; – ich finde, Du bist ein bißchen zu zärtlich mit den jungen Herren.
Georgette. Seht, was er für ein Kind ist. Sei doch vernünftig, Balthasar! Ich muß ja zärtlich sein, um ihnen Vertrauen einzuflößen.
Rollin. Was sie da sagt, ist geradezu tief.
Balthasar. Wenn ich einmal glauben müßte, daß Du etwas empfindest, wenn Dich ein Anderer . . .
Georgette. Was sagt Ihr dazu! Die dumme Eifersucht wird ihn noch in’s Grab bringen.
Balthasar. Ich hab’ heut einen Seufzer gehört, Georgette, und das war in einem Augenblick, wo sein Vertrauen bereits groß genug war!
Georgette. Man kann nicht so plötzlich aufhören, die Verliebte zu spielen.
Balthasar. Nimm Dich in Acht, Georgette, die Seine ist tief. Wild. Wenn Du mich betrügst. –
Georgette. Nie, nie!
Albin. Das versteh’ ich absolut nicht.
Séverine. Rollin, das ist die richtige Auffassung!
Rollin. Sie finden?
Marquis zu Séverine. Wir können noch immer gehen, Séverine.
Séverine. Warum? Ich fang’ an, mich sehr wohl zu fühlen.
Georgette. Mein Balthasar, ich bete Dich an. – Umarmung.
François. Bravo! bravo! –
Balthasar. Was ist das für ein Cretin?
Commissär. Das ist unbedingt zu stark – das ist –
Maurice und Etienne treten auf; sie sind wie junge Adelige gekleidet, doch merkt man, daß sie nur in verschlissenen Theatercostümen stecken.
Vom Tisch der Schauspieler. Wer sind die?
Scaevola. Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht Maurice und Etienne sind.
Georgette. Freilich sind sie’s.
Balthasar. Georgette!
Séverine. Gott, sind das bildhübsche junge Leute!
Rollin. Es ist peinlich, Séverine, daß Sie jedes hübsche Gesicht so heftig anregt.
Séverine. Wozu bin ich denn hergekommen?
Rollin. So sagen Sie nur wenigstens, daß Sie mich lieben.
Séverine mit einem Blick. Sie haben ein kurzes Gedächtnis.
Etienne. Nun, was glaubt Ihr, woher wir kommen?
François. Hören Sie, zu Marquis, das sind ein paar witzige Jungen.
Maurice. Von einer Hochzeit.
Etienne. Da muß man sich ein wenig putzen. Sonst sind gleich diese verdammten Geheimpolizisten hinter Einem her.
Scaevola. Habt Ihr wenigstens einen ordentlichen Fang gemacht?
Wirth. Laßt sehen.
Maurice aus seinem Wamms Uhren herausnehmend. Was giebst Du mir dafür?
Wirth. Für die da? Einen Louis!
Maurice. Freilich!
Scaevola. Sie ist nicht mehr werth!
Michette. Das ist ja eine Damenuhr. Gieb sie mir, Maurice.
Maurice. Was giebst Du mir dafür?
Michette. Sieh mich an! . . . Genügt das? –
Flipotte. Nein, mir; – sieh mich an –
Maurice. Meine lieben Kinder, das kann ich haben, ohne meinen Kopf zu riskieren.
Michette. Du bist ein eingebildeter Affe.
Séverine. Ich schwöre, daß das keine Comödie ist.
Rollin. Freilich nicht, überall blitzt etwas wirkliches durch. Das ist ja das Entzückende.
Scaevola. Was war denn das für eine Hochzeit?
Maurice. Die Hochzeit des Fräuleins La Tremouille – sie hat den Grafen von Banville geheiratet.
Albin. Hörst Du, François? – ich versichere Dich, das sind wirkliche Spitzbuben.
François. Beruhige Dich, Albin. Ich kenne die Zwei. Ich hab’ sie schon ein Dutzendmal spielen sehen. Ihre Spezialität ist die Darstellung von Taschendieben.
Maurice zieht einige Geldbörsen aus seinem Wams.
Scaevola. Na, ihr könnt heut splendid sein.
Etienne. Es war eine sehr prächtige Hochzeit. Der ganze Adel von Frankreich war da. Sogar der König hat sich vertreten lassen.
Albin erregt. Alles das ist wahr!
Maurice läßt Geld über den Tisch rollen. Das ist für Euch, meine Freunde, damit ihr seht, daß wir zusammenhalten.
François. Requisiten, lieber Albin. Er steht auf und nimmt ein paar Münzen. Für uns fällt doch auch ‘was ab.
Wirth. Nimm nur . . . so ehrlich hast Du in Deinem Leben nichts verdient.
Maurice hält ein Strumpfband, mit Diamanten besetzt, in der Luft. Und wem soll ich das schenken?
Georgette, Michette, Flipotte haschen darnach.
Maurice. Geduld, Ihr süßen Mäuse, darüber sprechen wir noch. Das geb’ ich der, die eine neue Zärtlichkeit erfindet.
Séverine zu Rollin. Möchten Sie mir nicht erlauben, da mit zu concurriren?
Rollin. Sie machen mich wahnsinnig, Séverine.
Marquis. Séverine, wollen wir nicht gehen? Ich denke . . . .
Séverine. O nein. Ich befinde mich vortrefflich. Zu Rollin. Ah, ich komm’ in eine Stimmung –
Michette. Wie bist Du nur zu dem Strumpfband gekommen?
Maurice. Es war ein solches Gedränge in der Kirche . . . . . und wenn Eine denkt, man macht ihr den Hof . . . . .
Alle lachen.
Grain hat dem François seinen Geldbeutel gezogen.
François mit dem Gelde zu Albin. Lauter Spielmarken. Bist Du jetzt beruhigt?
Grain will sich entfernen.
Wirth ihm nach; leise. Geben Sie mir sofort die Börse, die Sie diesem Herrn gezogen haben.
Grain. Ich –
Wirth. Auf der Stelle . . . . . oder es geht Ihnen schlecht.
Grain. Sie brauchen nicht grob zu werden. Giebt sie ihm.
Wirth. Und hier geblieben. Ich hab’ jetzt keine Zeit, Sie zu untersuchen. Wer weiß, was Sie noch eingesteckt haben. Gehen Sie wieder auf Ihren Platz zurück.
Flipotte. Das Strumpfband werd’ ich gewinnen.
Wirth zu François; wirft ihm den Beutel zu. Da hast Du Deinen Geldbeutel. Du hast ihn aus der Tasche verloren.
François. Ich danke Ihnen, Prospère. Zu Albin. Siehst Du, wir sind in Wirklichkeit unter den anständigsten Leuten von der Welt.
Henri ist bereits längere Zeit dagewesen, hinten gesessen, steht plötzlich auf.
Rollin. Henri, da ist Henri. –
Séverine. Ist das der, von dem Sie nur so viel erzählt haben?
Marquis. Freilich. Der, um dessentwillen man eigentlich hieherkommt.
Henri tritt vor, ganz komödiantenhaft; schweigt.
Die Schauspieler. Henri, was hast Du?
Rollin. Beachten Sie den Blick. Eine Welt von Leidenschaft. Er spielt nämlich den Verbrecher aus Leidenschaft.
Séverine. Das schätze ich sehr!
Albin. Warum spricht er denn nicht?
Rollin. Er ist wie entrückt. Merken Sie nur. Geben Sie Acht . . . er hat irgend eine fürchterliche That begangen.
François. Er ist etwas theatralisch. Es ist, wie wenn er sich zu einem Monolog vorbereiten würde.
Wirth. Henri, Henri, woher kommst Du?
Henri. Ich hab’ Einen umgebracht.
Rollin. Was hab’ ich gesagt?
Scaevola. Wen?
Henri. Den Liebhaber meiner Frau.
Der Wirth sieht ihn an, hat in diesem Augenblick offenbar die Empfindung, es könne wahr sein.
Henri schaut auf. Nun ja, ich hab’ es gethan, was schaut Ihr mich so an? Es ist nun einmal so. Ist es denn gar so verwunderlich? Ihr wißt doch alle, was meine Frau für ein Geschöpf ist; es hat so enden müssen.
Wirth. Und sie – wo ist sie?
François. Sehen Sie, der Wirth geht drauf ein. Merken Sie, das macht die Sache so natürlich.
Lärm draußen, nicht zu stark.
Jules. Was ist das für ein Lärm da draußen?
Lansac. Hören Sie, Séverine?
Rollin. Es klingt, wie wenn Truppen vorüberzögen.
François. Oh nein, das ist unser liebes Volk von Paris, hören Sie nur, wie sie gröhlen. Unruhe im Keller, draußen wird es still. Weiter Henri, weiter.
Wirth. So erzähl’ uns doch, Henri! – Wo ist Deine Frau? Wo hast Du sie gelassen?
Henri. Ah, es ist mir nicht bang um sie. Sie wird nicht daran sterben. Ob der, ob der, was liegt den Weibern dran? Noch tausend andere schöne Männer laufen in Paris herum – ob der oder der –
Balthasar. Möge es allen so gehn, die uns unsere Weiber nehmen.
Scaevola. Allen, die uns nehmen, was uns gehört.
Commissär zum Wirth. Das sind aufreizende Reden.
Albin. Es ist erschreckend . . . . . die Leute meinen es ernst.
Scaevola. Nieder mit den Wucherern von Frankreich! Wollen wir wetten, daß der Kerl, den er bei seiner Frau erwischt hat, wieder Einer von den verfluchten Hunden war, die uns auch um unser Brot bestehlen.
Albin. Ich schlage vor, wir gehn.
Séverine. Henri! Henri!
Marquis. Aber Marquise!
Séverine. Bitte, lieber Marquis, fragen Sie den Mann, wie er seine Frau erwischt hat . . . . oder ich frag’ ihn selbst.
Marquis nach Wehren. Sagen Sie, Henri, wie ist es Ihnen denn gelungen, die Zwei abzufassen?
Henri der lang in Sinnen versunken war. Kennt Ihr denn mein Weib? – Es ist das schönste und niedrigste Geschöpf unter der Sonne. – Und ich habe sie geliebt. – Sieben Jahre kennen wir uns . . . . . aber erst seit gestern ist sie mein Weib. In diesen sieben Jahren war kein Tag, aber nicht Ein Tag, an dem sie mich nicht belogen, denn alles an ihr lügt. Ihre Augen wie ihre Lippen, ihre Küsse und ihr Lächeln.
François. Er deklamirt ein wenig.
Henri. Jeder Junge und jeder Alte, jeder, der sie gereizt – und jeder, der sie bezahlt hat, ich denke, jeder der sie wollte, hat sie gehabt – und ich hab’ es gewußt!
Séverine. Das kann nicht jeder von sich sagen.
Henri. Und dabei hat sie mich geliebt, meine Freunde, kann das Einer von Euch verstehen? Immer wieder ist sie zu mir zurückgekommen – von überall her wieder zu mir – von den Schönen und den Häßlichen – den Klugen und den Dummen, den Lumpen und den Kavalieren – immer wieder zu mir. –
Séverine zu Rollin. Wenn ihr nur ahntet, daß eben dieses Zurückkommen die Liebe ist.
Henri. Was hab’ ich gelitten . . . . Qualen, Qualen!
Rollin. Es ist erschütternd!
Henri. Und gestern hab’ ich sie geheiratet. Wir haben einen Traum gehabt. Nein – ich hab’ einen Traum gehabt. Ich wollte mit ihr fort von hier. In die Einsamkeit, auf’s Land, in den großen Frieden. Wie andere glückliche Ehepaare wollten wir leben – auch von einem Kind haben wir geträumt.
Rollin leise. Séverine!
Séverine. Nun ja, es ist schon gut.
Albin. François, dieser Mensch spricht die Wahrheit.
François. Gewiß, diese Liebesgeschichte ist wahr, aber es handelt sich um die Mordgeschichte.
Henri. Ich hab’ mich um einen Tag verspätet . . ., sie hatte noch Einen vergessen, sonst – glaub’ ich – hat ihr keiner mehr gefehlt . . . . aber ich hab’ sie zusammen erwischt . . . . und er ist hin.
Die Schauspieler. Wer? . . . wer? Wie ist es geschehen? . . . Wo liegt er? – Wirst Du verfolgt . . . Wie ist es geschehen? . . . Wo ist sie?
Henri immer erregter. Ich hab’ sie begleitet . . . in’s Theater . . . . zum letzten Male sollt’ es heute sein . . . ich hab’ sie geküßt . . . . an der Thür – und sie ist hinauf in ihre Garderobe und ich bin fortgegangen wie Einer, der nichts zu fürchten hat. – Aber schon nach hundert Schritten hat’s begonnen . . . in mir . . . . versteht Ihr mich . . . . eine ungeheure Unruhe . . . und es war, als zwänge mich irgend ‘was, umzukehren . . . . und ich bin umgekehrt und hingegangen. Aber da hab ich mich geschämt und bin wieder fort . . . . und wieder war ich hundert Schritt weit vom Theater . . . da hat es mich gepackt . . . . und wieder bin ich zurück. Ihre Scene war zu Ende . . . . sie hat ja nicht viel zu thun, steht nur eine Weile auf der Bühne, halbnackt – und dann ist sie fertig . . . . ich stehe vor ihrer Garderobe, ich lehne mein Ohr an die Thür und höre flüstern. Ich kann kein Wort unterscheiden . . . . das Flüstern verstummt . . . . ich stoße die Thür auf . . . . Er brüllt wie ein wildes Thier. – es war der Herzog von Cadignan und ich hab’ ihn ermordet. –
Wirth der es endlich für wahr hält. Wahnsinniger!
Henri schaut auf, sieht den Wirth starr an.
Séverine. Bravo! bravo!
Rollin. Was thun Sie, Marquise? Im Augenblick, wo Sie Bravo! rufen, machen Sie das alles wieder zum Theater – und das angenehme Gruseln ist vorbei.
Marquis. Ich finde das Gruseln nicht so angenehm. Applaudiren wir, meine Freunde, nur so können wir uns von diesem Banne befreien.
Leises Bravo!, das immer lauter wird; alle applaudiren.
Wirth zu Henri, während des Lärms. Rette Dich, flieh, Henri!
Henri. Was? was?
Wirth. Laß es jetzt genug sein und mach’, daß Du fortkommst!
François. Ruhe! . . . . Hören wir, was der Wirth sagt!
Wirth nach kurzer Ueberlegung. Ich sag’ ihm, daß er fort soll, bevor die Wachen an den Thoren der Stadt verständigt sind. Der schöne Herzog war ein Liebling des Königs – sie rädern Dich! Hättest Du doch lieber die Canaille, Dein Weib, erstochen!
François. Was für ein Zusammenspiel! . . . . Herrlich!
Henri. Prospère, wer von uns ist wahnsinnig, Du oder ich? – Er steht da und versucht, in den Augen des Wirths zu lesen.
Rollin. Es ist wunderbar, wir alle wissen, daß er spielt, und doch, wenn der Herzog von Cadignan jetzt hereinträte, er würde uns erscheinen wie ein Gespenst.
Lärm draußen – immer stärker. Es kommen Leute herein, man hört schreien. Ganz an ihrer Spitze Grasset, Andere, unter ihnen Lebrêt, drängen über die Stiege nach. Man hört Rufe: Freiheit, Freiheit.
Grasset. Hier sind wir, Kinder, da herein!
Albin. Was ist das? Gehört das dazu?
François. Nein.
Marquis. Was soll das bedeuten?
Séverine. Was sind das für Leute?
Grasset. Hier herein! Ich sag’ es Euch, mein Freund Prospère hat immer noch ein Faß Wein übrig, und wir haben’s uns verdient! Lärm von der Straße. Freund! Bruder! Wir haben sie, wir haben sie!
Rufe draußen. Freiheit! Freiheit!
Séverine. Was giebt’s?
Marquis. Entfernen wir uns, entfernen wir uns, der Pöbel rückt an.
Rollin. Wie wollen Sie sich entfernen?
Grasset. Sie ist gefallen, die Bastille ist gefallen!
Wirth. Was sagst Du? – Spricht er die Wahrheit?
Grasset. Hörst Du nicht?
Albin will den Degen ziehen.
François. Laß das jetzt, sonst sind wir alle verloren.
Grasset torkelt über die Stiege herein. Und wenn Ihr Euch beeilt, könnt ihr noch draußen was Lustiges sehn . . . . . auf einer sehr hohen Stange den Kopf unseres theueren Delaunay.
Marquis. Ist der Kerl verrückt?
Rufe. Freiheit! Freiheit!
Grasset. Einem Dutzend haben wir die Köpfe abgeschlagen, die Bastille gehört uns, die Gefangenen sind frei! Paris gehört dem Volke!
Wirth. Hört Ihr! Hört Ihr! Paris gehört uns!
Grasset. Seht, wie er jetzt Muth kriegt. Ja, schrei’ nur, Prospère, jetzt kann Dir nichts mehr geschehn.
Wirth zu den Adeligen. Was sagt Ihr dazu? Ihr Gesindel! Der Spaß ist zu Ende.
Albin. Hab’ ich’s nicht gesagt?
Wirth. Das Volk von Paris hat gesiegt.
Commissär. Ruhe! – Man lacht. Ruhe! . . . . Ich untersage die Fortsetzung der Vorstellung!
Grasset. Wer ist der Tropf?
Commissär. Prospère, ich mache Sie verantwortlich für alle die aufreizenden Reden –
Grasset. Ist der Kerl verrückt?
Wirth. Der Spaß ist zu Ende, begreift Ihr nicht? Henri, so sag’s ihnen doch, jetzt darfst Du’s ihnen sagen: Wir schützen Dich . . . . . das Volk von Paris schützt Dich.
Grasset. Ja, das Volk von Paris.
Henri steht stieren Blicks da.
Wirth. Henri hat den Herzog von Cadignan wirklich ermordet.
Albin. François. Marquis. Was sagt er da?
Albin und Andere. Was bedeutet das alles, Henri?
François. Henri, sprechen Sie doch!
Wirth. Er hat ihn bei seiner Frau gefunden – und er hat ihn umgebracht.
Henri. Es ist nicht wahr!
Wirth. Jetzt brauchst Du Dich nicht mehr zu fürchten, jetzt kannst Du’s in die Welt hinausschrein. Ich hätte Dir schon vor einer Stunde sagen können, daß sie die Geliebte des Herzogs ist. Bei Gott, ich bin nahe daran gewesen, Dir’s zu sagen . . . Sie schreiender Bimsstein, nicht wahr, wir haben’ s gewußt?
Henri. Wer hat sie gesehn? Wo hat man sie gesehn?
Wirth. Was kümmert Dich das jetzt! Er ist ja verrückt . . . Du hast ihn umgebracht, mehr kannst Du doch nicht thun.
François. Um Himmelswillen, so ist es wirklich wahr oder nicht?
Wirth. Ja, es ist wahr!
Grasset. Henri – Du sollst von nun an mein Freund sein. Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
François. Henri reden Sie doch!
Henri. Sie war seine Geliebte? Sie war die Geliebte des Herzogs? Ich hab’ es nicht gewußt . . . . er lebt . . . . er lebt. –
Ungeheure Bewegung.
Séverine zu den Anderen. Nun, wo ist jetzt die Wahrheit?
Albin. Um Gotteswillen!
Der Herzog drängt sich durch die Masse auf der Stiege.
Séverine die ihn zuerst sieht. Der Herzog!
Einige. Der Herzog!
Herzog. Nun ja, was gibt’s denn?
Wirth. Ist es ein Gespenst?
Herzog. Nicht daß ich wüßte! Laßt mich da herüber!
Rollin. Was wetten wir, daß alles arrangirt ist? Die Kerls da gehören zur Truppe von Prospère. Bravo, Prospère, das ist Dir gelungen!
Herzog. Was giebt’s? Spielt man hier noch, während draußen . . . Weiß man denn nicht, was da draußen für Dinge vorgehen? Ich habe den Kopf Delaunay’s auf einer Stange vorbeitragen sehen. Ja, was schaut Ihr mich denn so an – tritt herunter. Henri –
François. Hüten Sie sich vor Henri.
Henri stürzt wie ein Wüthender auf den Herzog und stößt ihm den Dolch in den Hals.
Commissär steht auf. Das geht zu weit! –
Albin. Er blutet!
Rollin. Hier ist ein Mord geschehen!
Séverine. Der Herzog stirbt!
Marquis. Ich bin fassungslos, liebe Séverine, daß ich Sie gerade heute in dieses Lokal bringen mußte!
Séverine. Warum? mühsam. Es trifft sich wunderbar. Man sieht nicht alle Tage einen wirklichen Herzog wirklich ermorden.
Rollin. Ich fasse es noch nicht.
Commissär. Ruhe! – Keiner verlasse das Lokal! –
Grasset. Was will der??
Commissär. Ich verhafte diesen Mann im Namen des Gesetzes.
Grasset lacht. Die Gesetze machen wir, Ihr Dummköpfe! Hinaus mit dem Gesindel! Wer einen Herzog umbringt, ist ein Freund des Volkes. Es lebe die Freiheit!
Albin zieht den Degen. Platz gemacht! Folgen Sie mir, meine Freunde!
Léocadie stürmt herein über die Stufen.
Rufe. Léocadie!
Andere. Seine Frau!
Léocadie. Laßt mich hier herein! Ich will zu meinem Mann! Sie kommt nach vorne, sieht, schreit auf. Wer hat das gethan? Henri!
Henri schaut sie an.
Léocadie. Warum hast Du das gethan?
Henri. Warum?
Léocadie. Ja, ja, ich weiß warum. Meinetwegen, Nein, nein, sag’ nicht meinetwegen. Soviel bin ich mein Lebtag nicht werth gewesen.
Grasset beginnt eine Rede. Bürger von Paris, wir wollen unsern Sieg feiern. Der Zufall hat uns auf dem Weg durch die Straßen von Paris zu diesem angenehmen Wirth geführt. Es hat sich nicht schöner treffen können. Nirgends kann der Ruf: »Es lebe die Freiheit!« schöner klingen als an der Leiche eines Herzogs.
Rufe. Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
François. Ich denke, wir gehen – das Volk ist wahnsinnig geworden. Gehn wir.
Albin. Sollen wir ihnen die Leiche hier lassen?
Séverine. Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
Marquis. Sind Sie verrückt?
Die Bürger. die Schauspieler. Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
Séverine an der Spitze der Adeligen, dem Ausgange zu. Rollin, warten Sie heut Nacht vor meinem Fenster. Ich werfe den Schlüssel hinunter wie neulich – wir wollen eine schöne Stunde haben – ich fühle mich angenehm erregt.
Rufe: Es lebe die Freiheit! Es lebe Henri! Es lebe Henri.
Lebrêt. Schaut die Kerle an – sie laufen uns davon.
Grasset. Laßt sie für heute – laßt sie. – Sie werden uns nicht entgehen.
Vorhang.