(—Die Ahnfrau, Berta an Gestalt ganz ähnlich, und in der Kleidung nur durch einen wallenden Schleier unterschieden, erscheint neben dem Stuhle des Schlafenden und beugt sich schmerzlich über ihn.)
Graf (unruhig im Schlafe).
Fort von mir!—Fort!—Fort! (Er erwacht.)
Ah—bist du hier meine Berta?
Ei das war ein schwerer Traum,
Noch empört sich mir das Innre!
Geh doch nach der Harfe, Berta,
Mich verlangt’s Musik zu hören!
(Die Gestalt hat sich aufgerichtet und starrt den Grafen mit weitgeöffneten toten Augen an.)
Graf (entsetzt).
Was starrst du so graß nach mir,
Daß das Herz im Männerbusen
Sich mit bangem Grausen wendet,
Und der Beine Mark gerinnt!
Weg den Blick! Von mir die Augen!
Also sah ich dich im Traume
Und noch siedet mein Gehirn.
Willst du deinen Vater töten?
(Die Gestalt wendet sich ab und geht einige Schritte gegen die Türe.)
Graf.
So!—Nun kenn ich selbst mich wieder!—
Wohin gehst du Kind?
Die Gestalt (wendet sich an der Türe um. Mit unbetonter Stimme).
Nach Hause. (Ab.)
Der Graf (stürzt niedergedonnert in den Sessel zurück. Nach einer
Weile).
Was war das?—Hab ich geträumt?—
Sah ich sie nicht vor mir stehn,
Hört’ ich nicht die toten Worte,
Fühl ich nicht mein Blut noch starren
Von dem grassen, eis’gen Blick?—
Und doch, meine sanfte Tochter!—
Berta! Höre, Berta!
(Berta und Kastellan kommen.)
Berta (hereinstürzend).
Ach, was fehlt Euch, lieber Vater?
Graf.
Bist du da! Was ficht dich an,
Sprich, was ist’s, unkindlich Mädchen,
Daß du wie ein Nachtgespenst
Durch die öden Säle wandelst
Und mit seltsamen Beginnen
Lebensmüde Schläfer schreckst?
Berta.
Ich, mein Vater?
Graf.
Du, ja du!
Wie, du weißt nicht? Und noch haften
Deine starren Leichenblicke
Mir gleich Dolchen in der Brust.
Berta.
Meine Blicke?
Graf.
Deine Blicke!
Zieh nicht staunend auf die Augen!
Siehst du, so!—doch nein, viel starrer!
Starr?—die Sprache hat kein Wort!
Blickst du mich liebkosend an,
Um den Eindruck wegzuwischen
Jenes finstern Augenblicks?
All umsonst! So lang ich lebe
Wird das Schreckbild vor mir stehn,
Auf dem Todbett werd ich’s sehn!
Scheint dein Blick gleich Mondenschimmer
Über einer Abendlandschaft,
O ich weiß, er kann auch töten!
Berta.
Ach, was hab ich denn begangen,
Das Euch also aufgeregt,
Und Euch heißt die Augen schelten,
Die den Euern bang begegnend
Sich mit Wehmutstränen füllen.
Daß ich Euch im Schlaf verlassen,
Unbedachtsam fortgegangen—
Graf.
Daß du fortgingst?—Daß du hier warst!
Berta.
Daß ich hier war?
Graf.
Standst du nicht
Hier auf dieser, dieser Stelle
Schießend deine kalten Pfeile
Nach des grauen Vaters Brust.
Berta.
Als Ihr schliefet?
Graf.
Kurz erst, jetzt erst!
Berta.
Eben komm ich von dem Söller!
Als der Schlummer Euch umfing
Ging ich sehnsuchtsvoll hinaus
Nach dem Teuern umzuschauen.
Graf.
Schändlich!—Mädchen, höhnst du mich?
Berta.
Höhnen?—ich, mein Vater?—ich?
(Mit überströmenden Augen zu Günther.)
Ach sprich du!—Ich weiß nicht—kann nicht!
Günther.
Ja fürwahr, mein gnäd’ger Herr,
Ja, das Fräulein kömmt vom Söller.
Ich stand bei ihr, und wir schauten
In die schneeerhellte Gegend
Ob kein Wanderer sich nahe.
Erst als Ihr sie gellend rieft,
Eilte sie mit mir herbei.
Graf (rasch).
Und ich sah—
Günther.
Ihr sahet—?
Graf.
Nichts!
Günther.
Ihr saht etwa—?
Graf.
Nichts! nichts sag ich!
(Vor sich hin.)
Es ist klar, ich hab geträumt!
Wenn sich gleich die Sinne sträuben,
Das Gedächtnis es verneint,
Doch ist’s so; ich hab geträumt!
Kann der Schein sich also hüllen
Ins Gewand der Wirklichkeit?
Diese Hand seh ich nicht klarer
Als ich jenes Bild gesehn!
Und doch, meine sanfte Berta!
Es ist klar, ich hab geträumt!—
Was stehst du so ferne, Berta?
Hast du keinen Vorwurf, Liebe,
Für den harten, rauhen Vater
Der so bitter dich gekränkt?
Ach, so warst du schon als Kind,
Trugest immerdar zugleich
Der Beleid’gung herben Schmerz
Und das Unrecht des Beleid’gers.
Immer gut und immer schuldlos,
Schienst du stets die Schuldige—
Berta (an seiner Brust).
Und bin ich nicht wirklich schuldig?
Wenn auch nicht als Grund des Zornes,
Ach, doch als sein Gegenstand!
Graf.
Du verzeihst mir also, Berta?
Berta.
Ihr habt wohl geträumt, mein Vater!
Es gibt gar lebend’ge Träume!
Oder dieser Halle Dunkel
Matt vom Kerzenlicht erhellt
Täuscht’ in trügender Gestaltung
Euer schlummertrunknes Aug’.
Oh, ich hab es oft erfahren,
Wie die Sinne, aufgeregt,
Stumpfe Diener unsrer Seele,
Gern für wahr und wirklich halten
Die verworrenen Gestalten,
Die der Geist in sich bewegt.
Gestern nur, mein Vater, ging ich
In des Zwielichts mattem Strahl
Durch den alten Ahnensaal.
In der Mitte hängt ein Spiegel,
Halb erblindet und voll Flecken.
Wie ich ihn vorüber gehe
Bleib ich, meinen Anzug musternd,
Vor dem matten Glase stehn.
Eben senk ich nach dem Gürtel
Nieder meine beiden Hände,
Da—Ihr werdet lachen, Vater!
Und auch ich muß jetzt fast lächeln
Meiner kindisch schwachen Furcht,
Doch in jenem Augenblicke
Konnt’ ich nur mit Schreck und Grauen
Das verzerrte Wahnbild schauen.
Wie ich senke meine Hände
Um den Gürtel anzuziehn,
Da erhebt mein Bild im Spiegel
Seine Hände an das Haupt,
Und mit starrendem Entsetzen
Seh ich in dem dunkeln Glase
Meine Züge sich verzerren.
Immer sind es noch dieselben
Und doch anders, furchtbar anders,
Und mir selbst nicht ähnlicher
Als ein Lebend’ger seiner Leiche.
Weit reißt es die Augen auf
Starrt nach mir, und mit dem Finger
Droht es warnend gegen mich.
Günther.
Weh, die Ahnfrau!
Graf (wie von einem plötzlichen schrecklichen Gedanken ergriffen, vom
Sessel aufspringend).
Ahnfrau!
Berta (verwundert).
Ahnfrau?
Günther.
Saht Ihr nie ihr Bild im Saale,
Euch so ähnlich, gnäd’ges Fräulein,
Gleich als hättet Ihr dem Maler,
Lieblich wie Ihr seid, gesessen?
Berta.
Oftmals hab ich’s wohl gesehn,
Es mit Staunen mir betrachtet,
Und es war mir immer teuer
Wegen dieser Ähnlichkeit.
Günther.
Und Ihr kennet nicht die Sage,
Die von Mund zu Munde geht?
Berta.
Schon als Kind hört’ ich’s erzählen,
Doch ein Märchen nennt’s der Vater.
Günther.
Ach, er fühlt’s zu dieser Frist,
Wie er sich’s auch selbst verhehle,
Fühlt’s im Tiefsten seiner Seele,
Daß es mehr als Märchen ist.
Ja, die Ahnfrau Eures Hauses,
Jung und blühend noch an Jahren,
Berta, so wie Ihr geheißen,
Schön und reizend, so wie Ihr,
Von der Eltern Hand gezwungen,
Zu verhaßter Ehe Bund,
Sie vergaß ob neuen Pflichten
Langgehegter Liebe nicht;
In den Armen ihres Buhlen
Überfiel sie der Gemahl.
Durstend seine Schmach zu rächen,
Straft’ er selber das Verbrechen
Stieß ins Herz ihr seinen Stahl,
Jenen Stahl, den in der Blinde
Man dort aufgehangen hat,
Zum Gedächtnis ihrer Sünde,
Zum Gedächtnis seiner Tat.
Ruhe ward ihr nicht vergönnet,
Wandeln muß sie ohne Rast,
Bis das Haus ist ausgestorben,
Dessen Mutter sie gewesen,
Bis weit auf der Erde hin
Sich kein einz’ger Zweig mehr findet
Von dem Stamm den sie gegründet,
Von dem Stamm der Borotin.
Und wenn Unheil droht dem Hause,
Sich Gewitter türmen auf,
Steigt sie aus der dunkeln Klause
An die Oberwelt herauf.
Da sieht man sie klagend gehen,
Klagend, daß ihr Macht gebricht,
Denn sie kann’s nur vorhersehen,
Ab es wenden kann sie nicht!
Berta.
Und das ist es—?
Günther.
Das ist alles
Was ich hier zu sagen wage,
Wenn gleich all nicht was ich weiß.
Eines ist noch übrig, eines,
Das des Hauses ältre Diener,
Das der Gegend welke Greise
Bang sich in die Ohren raunen,
Das der Sage heil’ger Mund
Aus der Väter fernen Tagen
In die Enkelwelt getragen.
Eines, das den Schlüssel gibt
Zu so manchem finstern Rätsel,
Das ob diesem Hause brütet.
Aber wag ich es zu sagen
Hier an diesem, diesem Ort
Wo noch kurz zuvor der Schatten—
(Mit scheuen Blicken umhergehend. Berta schmiegt sieh an ihn, und folgt mit ihren Augen den seinigen.)
Runzelt Ihr die hohen Brauen
Edler Herr? Ich kann nicht anders!
Meinen Busen will’s zerbrechen
Und es drängt mich’s auszusprechen
Beb ich selber gleich zurück.—
Kommt hierher, mein Fräulein, hierher
Und vernehmt und staunt und bebt.—
Mit der Ahnfrau blut’ger Leiche
Ward der Sünde Keim begraben,
Aber nicht der Sünde Frucht.
Das Verbrechen, das des Gatten
Blut’ger Rachestahl bestraft,
War, wie jene Sage spricht,
Wohl das Letzte ihres Lebens
Aber ach, ihr erstes nicht.
Ihres Schoßes einz’ger Sohn,
Den Ihr unter Euren Ahnen,
Unter Euren Vätern zählt,
Der des mächt’gen Borotin
Lehen, Gut und Namen erbte,
Er—
Graf.
Schweig!
Günther.
Es ist ausgesprochen.
Er, dem Vater unbewußt,
War ein Pfand geheimer Lust,
War ein Denkmal ihrer Sünde!
Darum muß sie klagend wallen
Durch die weiten, öden Hallen,
Die das Werk von Trug und Nacht
Auf ein fremd Geschlecht gebracht.
Und in jedem Enkelkinde,
Das entsproßt aus ihrem Blut,
Haßt sie die vergangne Sünde,
Liebt sie die vergangne Glut.
Also harret sie seit Jahren,
Wird noch harren jahrelang
Auf des Hauses Untergang;
Und ob der sie gleich befreiet,
Hütet sie doch jeden Streich,
Der dem Haupt der Lieben dräuet,
Den sie wünscht und scheut zugleich.
Darum wimmert es so kläglich
In den halbverfallnen Gängen,
Darum pocht’s in dunkler Nacht—