Der König hatte diese sonderbare Erzählung mit tiefer Wehmut vernommen. Dankbar drückte er dem Alten die Rechte. Es kam ihm ein Plan, der, wenn er ihn richtig ausführte, ihm das Kindmännlein in die Hände geben würde, damit er es vor Gericht stellen und aburteilen lassen konnte. „Wißt Ihr hier in der Gegend gute Leute, die noch ein Kind haben?“ fragte er. Um ihn nicht unnütz zu ängstigen, unterließ er es, sich dem Bauern als König erkenntlich zu machen.
Und da der alte Bauer froh war, Menschen gefunden zu haben, die sein und des Landes Leid verstanden, gab er ihm gern Auskunft. „Geht über die Heide und dann durch das gefährliche Moor, das sich im Osten dehnt. Der erste Hof zur Linken gehört jenen glücklichen Menschen, die ihr Kind noch haben. Morgen, wenn Ihr Euch ausgeschlafen habt, werde ich Euch gern die Richtung weisen. Jetzt macht´s Euch bequem.“
Anderntags in aller Frühe machten sich der König und sein Hofmarschall nach vielen Dankesworten auf den Weg. Nach vier Wegstunden durch Heide und finsteres Moor fanden sie das Haus der glücklichen Eltern, die noch ihr Kind zu eigen hatten. Bereits von weitem hörten sie dort eitel Lachen und Scherzen. Das verwunderte den König nicht weiter, weil er es so erwartet hatte. Er hieß seinen Hofmarschall vorangehen, denn dieser war ein gar stattlicher Herr mit feinem weißen Bart.
Als sie durch das große Scheunentor über die blanke Tenne schritten, kam ihnen bellend ein kleines Hündchen entgegen. Im Stalle daneben muhten etliche blanke Kühe, und ein großes Hühnervolk gackerte vergnüglich.
„Ein rechter Wohlstand!“ vermerkte der König gnädig, und in demselben Augenblick kam ein großer blonder Mann vom Kornboden, der sie mit lachenden Augen anschaute und willkommen hieß.
„Ei, fürchtet er das Kindmännlein denn gar nicht?“ fragte der König. Aber da schien er an den Rechten gekommen zu sein.
„Das Kindmännlein fürchten? Ich halt´s mir vom Halse. Zudem ist unser Mädelchen so artig, daß es das Kindmännlein nicht holen kann. Denn es holt nur böse Kinder.“
„Also glaubt auch Ihr an das Kindmännlein?“ fragte der König aufhorchend.
„O ja,“ erwiderte der junge Bauer. „Scheunen und Tröge werden leer, wenn das Kindmännlein Einzug hält. So, und nun kommt, trinkt einen guten Becher Milch mit mir und eßt eine Semmel, denn Ihr werdet hungrig sein.“
Die junge Bäuerin hatte diese guten Dinge inzwischen aufgetragen. Es mundete den Hungrigen vorzüglich.
Alsbald kam der König auf seine Frage zurück.
„War das Kindmännlein schon einmal bei Euch?“
„Es war oft bei uns,“ erwiderte der Jungbauer. „Meine Frau wollt´s g´rad einlassen, als ich es erkannte und vom Hofe jagte.
Alle drei Tage starrt es durch die Zäune meines Hofes und dreht mit seinen kalten Händen an seiner Halskette aus Johannisbeeren. Das Vieh wird dann in den Ställen rebellisch. Ein Gemuhe und Hühnergezank gibt das, wie Ihr es Euch nicht ausdenken könnt. Und nicht eher gibt das Vieh Ruhe, bis ich das Kindmännlein vertrieben habe. Unser gutes, kleines Mädelchen aber weint dann bitterlich. Da seht, es kommt, will Euch artig begrüßen.“ Mit den Worten nahm er es auf den Arm und küßte es herzhaft.
„Liebes Kleines,“ sagte der König. „Wie heißt du denn?“ Dabei zog er es an sich.
„Ich heiß´ Lies´l,“ sagte das Kind leise, und schmiegte sich an ihn. Behutsam streichelte er es über das blondgelockte Köpfchen.
Der König hatte sich bald entschlossen. Er griff in die Tasche und sagte: „Da, Bauer, nehmt diese fünfzig Taler. Verköstigt meinen Freund und mich für kurze Zeit dafür. Ich werde Euch das Kindmännlein vom Halse schaffen.“
Der junge Bauer sah den König ungläubig an, freute sich des blanken Silbers und willigte gern in den Handel ein.
Zwei Tage vergingen so. Der Bauer und der Hofmarschall zimmerten in dieser Zeit eine schwere, eisenbeschlagene Kiste. Der König achtete indessen auf jedes Lebewesen, das sich dem Hause näherte.
Am dritten Tage sagte der Hofmarschall verzweifelt: „Euer Majestät – die Staatsgeschäfte! Ihr könnt nicht zu lange dem Schloß fernbleiben.“
Der König aber erwiderte darauf: „Das wichtigste meiner Staatsgeschäfte ist dieses! Ich werde nicht eher ruhen, bis ich das Kindmännlein gefangen habe.“